Das Thema Angst ist hier im Sophieversum ein omnipräsentes – so wie auch in meinem Leben. Es zieht sich durch nahezu alles, auf die eine oder andere Art und so auch durch mein Schreiben.
Ich erinnere mich noch gut an den Moment, als meine ehemalige Kollegin K. von ihrer Depressionsdiagnose mit Angststörung erzählt hatte und ich – im Brustton der Überzeugung – sagte, dass mich das „dicke D“ schon irgendwie immer begleitet, aber zumindest von der Angst wäre ich verschont geblieben. (Dieselbe Reaktion wie die auf die Erzählung meiner anderen Kollegin C. von ihrem narzisstischen Vater.)
Was. Für. Ein. Enormer. Unsinn.
Aus heutiger Sicht frage ich mich ernsthaft, wie sehr meine Selbstwahrnehmung zu dem damaligen Zeitpunkt verzerrt war, ob ich mich im goldenen Käfig einfach so komfortabel eingerichtet und das viele mich Fürchten verdrängt hatte oder in welchem Paralleluniversum ich mich zu finden glaubte. Angst war immer ein zentraler Bestandteil meines Lebens und meiner (im Rahmen meiner marginalen Möglichkeiten) Entscheidungen gewesen. Angst war mein Motor und meine Haut, ihr ordnete ich alles unter, baute mein kleines Leben drumherum so gut es eben ging – bis ich irgendwann (wortwörtlich) körperlich und seelisch erstarrte.

Abgesehen vom Leben mit meinen narzisstischen Eltern hat mich die Angst um Vieles im Leben gebracht und mich wieder und wieder außerhalb der Norm stehen gelassen, als Zaungast und Zuschauerin bei der Unbeschwertheit, mit der andere reisten und tanzten und Erfahrungen machten.

Wie sehr die Angst mich gebremst hatte, wurde mir in den letzten Tagen schlagartig wieder bewusst, als ich den autobiografischen Roman von Kea von Garnier las. Ich folge ihr auf unterschiedlichen Kanälen schon lange, weil ich ihre Art, Sprache zu benutzen, so sehr mag, weil sie mich so mitnimmt mit ihren bildsprachlichen Ausdrücken, die das Lesen zu sehr viel mehr als einer visuellen Sinnwahrnehmung machen. Sie schreibt über ihren Kampf mit ihren psychischen Erkrankungen, die in vielen Facetten ganz anders, in anderen Erfahrungen aber so gleich zu meinen sind. Vor allem das: das sich fragen, wann das Leben endlich normal wird? Die Erwartungshaltung der anderen zu spüren zu funktionieren, obwohl einem niemand sagen kann, wie das in den eigenen Schuhen funktioniert. Das Hoffen und Bangen, das Unzuverlässigsein und Menschen, die man mag, dadurch zu enttäuschen, sich selbst zu enttäuschen wegen stornierter Reisen und abgesagten Treffen und verfallener Tickets und der verlorenen Erinnerungen, die man nie haben würde.

So wurde auch mir bewusst, dass die Angst mein Gegner ist, den es zu bekämpfen gilt, weil mein Leben sonst auf den Radius meiner im Universum nicht einmal ansatzweise stecknadelgroßen Wohnung zusammenschrumpfen würde und ich begann, mich aus dem Vermeidungsverhalten herauszuwinden. Heute ist Vieles, das vor zehn Jahren undenkbar war, noch immer nicht angenehm, aber machbar. Ich lebe heute ein in weiten Aspekten normales und selbstbestimmtes Leben, aber die erlebte Angst und was sie mich gekostet hat, wird mich immer vom Großteil „der anderen“ trennen, auch wenn ich das selbst wahrscheinlich mehr spüre als meine Gegenüber. Wenn mir meine Teamleitung heute sagt „Du lässt dich so schnell verunsichern und traust dir zu wenig zu.“, dann weiß sie nicht, dass ich vor ein paar Jahren vor jeder Präsentation schlaflose Nächte hatte und keinen Satz unvorbereitet sagen konnte. Sie weiß nicht, dass ich nicht in der Lage war, irgendwo hin zu fahren (egal ob öffentlich oder mit dem Auto), ohne die Strecke vorher gemeinsam mit jemand anderem kennengelernt zu haben. Mit 20 habe ich mir nicht einmal zugetraut, Nudeln zu kochen. Und die größte, omnipräsente Angst: meinen Eltern nicht zu entsprechen. I’ve come quite a long way – dennoch werde ich immer die im Team sein, die sich die meisten Sorgen macht, angespannt ist und Kritik viel zu persönlich nimmt.



Doch vielleicht lerne ich gerade eine wichtige Sache: Ich kann diese Erlebnisse und die, die ich mal war, nicht abschütteln, auch wenn ich ihr Leben nicht mehr lebe. Sie ist dennoch ich und all die Erinnerungen, die ich als sie gemacht haben, machen meine Biografie und meine Wahrheit aus. Trotzdem kann ich mein Leben so leben, dass ich mir viele Räume selbst gestalten kann, ohne auf Hilfe angewiesen zu sein. Selbst wenn anderen auffällt, dass ich sensibler bin als andere, ein weniger dickes Fell habe und nie die sein werde, die Stress und Belastungen einfach abschütteln kann.




Vielleicht hilft es mir, den Blickwinkel auf mich selbst zu verändern und mir selbst auch mal auf die Schulter zu klopfen für den Weg, den ich gegangen bin. Meine Erwartungshaltung mir gegenüber herunterzuschrauben und zu akzeptieren, dass die Spuren meiner Erfahrungen mein Leben wahrscheinlich immer beeinflussen werden.
Die Akte meiner Biografie lag immer in der falschen Schublade. Jetzt suche ich eine neue, vielleicht eine ganz eigene. Und wenn ich die gefunden habe, dann braucht es hoffentlich kein Außen mehr, um mir die Passung zu bestätigen.
7 Antworten zu “Mutmoment (10): Am Rande der Angst – am Rande des Lebens”
Meine Liebe,
du darfst dir sowas von auf die Schulter zu klopfen für den Weg, den du gegangen bist! Und sicherlich auch noch gehen wirst!
Sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen erfordert viel Mut und Kraft – die wenigsten Menschen begeben sich auf diesen Weg und verharren lieber in der aktuellen Situation, obwohl sie kreuzunglücklich sind. Sei stolz auf dich, was du bereits erreichen konntest. ❤
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danke meine liebe für deine worte ❤ ! ja, da hast du recht, das bemerke ich immer mehr, dass sich in unserem alter da die lager sehr stark scheiden zwischen denen, die erlebtes aufarbeiten und verarbeiten wollen und denen, die da überhaupt nicht in die tiefe gehen… obwohl ich mir manchmal denke, lieber wäre ich jemand von der anderen "sorte". aber aussuchen kann man sich das wohl nicht, also hoffe ich, dass es sich "am ende" gelohnt haben wird.
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Es ist der Wahnsinn, wie weit du schon gekommen bist. Diese abgesagten Tickets und Reisen kenne ich zu gut. Oft aus Erschöpfung. Jetzt wo es mir langsam besser geht geht die Angst vor der Erschöpfung neben mir her und erklärt mir, dass wir das nicht schaffen. Dann wiederum kommen wirklich wieder Erschöpfungsphasen, die ganz laut SIEHST DU?! schreien…
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oh ich weiß so gut was du meinst.. und ich weiß nicht, ob das jemals, jemals wirklich besser werden wird? ich weiß es einfach wirklich nicht. vielleicht nicht. vielleicht geht es darum, zu lernen, mit gewissen dingen einfach zu leben, auch wenn es nicht immer einfach ist.
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Angst ist ein furchtbarer Wegbegleiter. Einer, der einem so viel vom Leben nimmt und es sehr, sehr anstrengend macht. Vor allem wenn Angst eben nicht das Gefühl ist, das jeder einmal kennt und das ab und zu nicht schadet, sondern eben so bestimmend wird und Gründe hat so lange und tief vergraben sind.
Und du bist schon so weit gekommen und stellst dich so vielen Themen. Der Titel „Am Rand des Lebens – am Rand der Angst“ ist tief. Ich wünsche dir jeden Milimeter (Kilometer eh ) die dich weiter tragen.
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genau das ist es… die eigentliche angst, die, die wir alle als instinkt angeboren haben, ist ja ein wichtiges und nützliches gefühl, ohne das wir nicht überleben könnten. aber die gelernte angst, die dressierte angst, die ist einfach nur ein destruktives miststück.
danke für deine wünsche sie sind ganz warm und flauschig bei mir angekommen ❤
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❤
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