Lyrische Prosa: Sich die Seele aus dem Leib schreiben

Oft ist es irgendwie seltsam taub zwischen meinen Ohren. Da ist dann nur ein Grundrauschen, ein stetiger Lärmpegel, der das Nervenkostüm reizt, aber keine Worte, die sich zu Sätzen ketten und auffädeln lassen, um aus dem Hintergrundrauschen Sinn zu extrahieren. Und dann lichtet sich das kaugummigraue, klebrige Dickicht der chaotisch durch die Synapsen rauschenden Buchstaben und auf einmal flirren Gedankenfragmente mit Lichtgeschwindigkeit durch sämtliche Gehirnwindungen. Und dann, dann muss ich schreiben.

Meistens ereilt mich diese helle Leichtigkeit und das Fingerkribbeln an denkbar unpraktischen Orten. In einem Meeting zum Beispiel. Oft im Auto. Unter der Dusche. Wenn ich längst schlafen sollte. Wie sehr habe ich mir in diesen Momenten ein Dumbledor’sches Denkarium gewünscht, das leider für mich noch nicht erfunden wurde.

Wenn ich dann nämlich nicht schreibe, entsteht eine seltsame undurchlässige Blockade. Ein Stau, der letzten Endes wieder im ursprünglichen Rauschen endet, das jedoch wesentlich schwerer zu entwirren ist, weil es ja nicht mehr nur Buchstaben sind, die durch die Gegend flattern, sondern fertig gedachte Gefühle, die sich irgendwo an den Nervenenden meiner Fingerspitzen zusammengequetscht haben und dort zerdrückt und verzerrt werden.

In diesem Stadium befinde ich mich gerade. So Vieles habe ich im letzten Jahr gefühlt und gedacht, für das keine Zeit und kein Raum war, weil der Überlebensmodus es nicht zugelassen hat. Und jetzt spüre ich, wie alles in mir steckt und klebt wie die letzten Reste einer alten Erkältung. Durch einen weniger bildlichen sondern sehr realen Infekt hat mein Körper Ende des Jahres und zum Start ins neue Jahr absoluten Stillstand eingefordert. Ein Stillstand, der mich von allem Müssen befreit und mir Zeit und Raum gegeben hat, viele Dinge zu tun, die in den letzten Monaten, Jahren, stets zu kurz gekommen sind. Einfach mal Zeit „verplempern“, „sinnlose“ Dinge tun. Die Seele baumeln lassen und meditativ Buchstaben kritzeln. Mit Malmaterial spielen. Puzzlen, stricken und eine Holzschatulle bauen. Ruhiger werden. Langsamer werden. In dem Moment, den man gerade lebt, ankommen. Nicht schon wieder aufstehen, während man noch sitzt, nicht schon wieder laufen, während man noch geht.

Nun warte ich, dass das Kribbeln wieder kommt. Dass ein Wort auf das virtuelle Papier tropft und und all das zähflüssig Gefühlte aufwirbelt und es mir irgendwann wie von selbst durch die Finger rinnt, um in Sätzen auf digitalem Grund eine Art von Frieden zu finden, den ich nur von fertigen Texten kenne. Ich warte darauf, mir endlich wieder die Seele aus dem Leib zu schreiben.

10 Antworten zu “Lyrische Prosa: Sich die Seele aus dem Leib schreiben”

  1. Diesen Drang zu schreiben beschreibst du mit ganz feinen Worten. Also deinen Drang, den ich glaube schreiben wollen/müssen hat ja ganz unterschiedliche Ursachen. Ein Wegschreiben, Aufschreiben, ein Erzählenwollen oder was auch immer.
    Was ich gut kenne ist, dass man oft so gerne möchte, wenn es gerade nicht passt. In der Supermarktschlange oder auch mal wenn gerade Besuch da ist. Lästig, aber irgendwie auch schön. Ich freue mich auf deine Worte!

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    • ❤ ja ich glaube das teilen wir alle, für die schreiben nicht nur ein werkzeug ist, sondern auch eine funktion hat. aber irgendwann werden wir mit unseren wearables vielleicht auch unsere gedanken schnell mal in einer cloud abspeichern können. wie erstrebenswert diese welt auch immer sonst sein mag.

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      • ja, so gehts mir auch.. und ironischerweise grade zu diesem thema spiele ich heute schon die ganze zeit mit dem heiß umstrittenen midjourney. aber ich finde es UN-GLAUB-LICH faszinierend.

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