Befindlichkeitsfixiert: Auf der Suche nach der Essenz meiner Persönlichkeit

Die Frage nach dem innersten Kerns des eigenen Seins ist wohl eine Frage, der die meisten Menschen irgendwann in ihrem Leben begegnen. Sich zu fragen „Wer bin ich eigentlich?“ ist weder ungewöhnlich noch traumaspezifisch. Die Antwort darauf zu finden ist – in meinen Augen – eh eine Lebensaufgabe.

Ich habe immer geglaubt, ein recht reflektiertes und bewusstes Selbstbild zu haben. Doch – Spoiler alert – das habe ich nicht. Denn die Psychiaterin hatte schon recht, als sie mir bei der Feststellung meiner beiden Anteile widersprach und mich darauf aufmerksam machte, dass das wohl zu kurz gegriffen sei. Jeder von uns trägt verschiedene Hüte und spielt in unterschiedlichen Kontexten andere Rollen – so weit, so „normal“. Dennoch sollten diese Rollen irgendwo einen kleinsten gemeinsamen Nenner haben, sich nicht widersprechen. Es sollten Anteile sein und keine voneinander losgelösten Persönlichkeiten.

Meine Essenz ist es offenbar, eine Art Chamäleon zu sein: überall dabei aber nie mitten drin. Diese Eigenschaft habe ich über die Jahre zu nutzen gelernt und sie als mein Wesen angesehen, Vieles in meinem Leben genau darauf aufgebaut. Ein Wolkenkratzer auf dem Fundament eines Kartenhauses, das – wahnsinnig überraschend – zusammengebrochen ist, als ich erkannt hatte, dass mein biegsames und anpassbares Wesen nichts als eine Traumareaktion war und ist. Und seitdem frage ich: wer oder was bin ich „darunter“?

Die schmerzhafte Antwort lautet möglicherweise: nichts und niemand. Für mich gibt es kein „davor“. Ich trage das Trauma nicht wie einen Rucksack, der mir unterwegs auf die Schultern gepackt wurde, sondern als zusätzlichen Teil meiner DNA. Ich wurde gezeugt und geboren in diese Familie, in der ich die Rolle zu spielen hatte, für die ich auf die Welt gebracht wurde. Ich habe keine Traumareaktionen, ich bin eine Traumareaktion.

Nur: was jetzt? Wie lebe ich weiter mit dem Wissen, dass so gut wie alles, das mich ausmacht, aus mehr oder weniger gesunden Copingstrategien entstanden ist? Als wäre ich mein eigenes Höhlengleichnis, nur ohne Ausgang.

Ich kenne zur Zeit nur Fragen und keine Antworten. Ich fühle mich hilflos und suche Halt im Schreiben, im Festhalten der Gedanken, in der Hoffnung, dass alles irgendwann wieder Sinn ergibt, weil das Aneinanderreihen von Buchstaben am Ende irgendwie immer meine letzte Zuflucht war.

Wenn die Quelle der Angst und des Schmerzes die Quelle der Sehnsucht ist, des Ursprungs des eigenen Ichs. Dann verliert man alles wenn man geht und wenn man bleibt geht man verloren.

Sophie Ofühl

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