Die Transition des Gegenübers

Irgendwann im Laufe eines Gesprächs, das sich anschickt persönlicher zu werden, fällt früher oder später der Satz: „Ich habe keinen Kontakt mehr zu meinen Eltern.“ Die Reaktionen darauf sind meist ähnlich, zumeist folgt ein kurzes betretenes Schweigen, ein spürbares Rattern im Kopf des Gegenübers, ob er oder sie nachfragen soll. Meistens kommt auch ein „…aber es sind doch deine Eltern.“

Je nachdem wie Konstellation und Kontext aussehen, wie meine Tagesverfassung ist oder wie offen ich der Person gegenüber sein möchte, winke ich ab und lasse das im Raum stehen – oder ich erzähle doch ein paar Leuchtturmerlebnisse, die Einblick in meine Geschichte geben. Darauf folgt bisher ausschließlich einhellig ein: „Na dann kannst du ja froh sein, dass du keinen Kontakt mehr hast.“

Ja. Nein. Aber.

Beide Kommentare tun weh, auch wenn sie nicht böse gemeint sind. Denn ja – es sind doch meine Eltern! Aber müsste man das nicht ihnen sagen? Müsste man ihnen nicht sagen: „Aber es ist doch euer Kind!“. Unser Familienverhältnis hat sie nicht gehindert an Erpressung, Bedrohung, Gefährdung. Aber dennoch, ja, es sind meine Eltern. Es sind diese Menschen, die mich mit wahrhaftiger und bedingungsloser Liebe ins Leben hätten begleiten sollen. Dass ich stattdessen Angst und Manipulation kennengelernt habe, wird mich vielleicht nie loslassen. Dass ich mich immer frage, wer ich eigentlich wäre, wenn sich meine Persönlichkeit hätte entwickeln dürfen ohne ausschließlich eine Traumareaktion zu sein. Dass mein Leben seit Jahren ohne Therapie und Medikamente nicht möglich wäre.

Trotzdem gibt es Dinge, die ich vermisse. Ganz real vermisse. Eine weniger offenbarende Möglichkeit an Gesprächen über Familie, Weihnachten, Muttertage, Geburtstage, etc. teilzunehmen zum Beispiel. Den Glauben daran, ein Sicherheitsnetz zu haben. Die Illusion, dass meine Herkunftsfamilie für mich da ist, wenn ich sie brauche.

Every decision comes with costs und sie zu behalten hätte bedeutet, mich selbst aufzugeben und letztlich zu verlieren. Dennoch ist es ein Verlust, der ein Loch gerissen hat, selbst wenn es die Realität, in der ich zu leben glaubte, nie wirklich gegeben hat.

2 Antworten zu “Die Transition des Gegenübers”

  1. Es tut mir sehr leid für dich, dass du diese Erfahrungen machen musstest! Ich kann mir auch vorstellen, dass es nicht einfach ist damit umzugehen… vielleicht würde mir im ersten Moment eine ähnliche Reaktion auskommen; da hat mir dein Text wieder gezeigt, dass man da durchaus sensibler sein kann.

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