Mutmoment: Identität

Jeden Sonntag möchte ich mir die Zeit nehmen für einen kleinen Beitrag. Etwas festhalten, rekapitulieren, reflektieren, das mir in dieser Woche wichtig war. Etwas, das für mich Mut erforderte.

Mut war vor einer Weile nicht grundlos mein Wort des Jahres, weil es der Angst entgegensteht, die viel zu lange der Motor meines Lebens war. Angst hat viele Lebensentscheidungen getroffen, die ich nun versuche mit Mut wieder grade zu biegen. Angst ist ein schlechter Ratgeber, doch in meinem Leben war sie allgegenwärtig und ist es oft noch. Nur weiß ich jetzt: ich muss nicht auf sie hören und ich darf mich gegen sie entscheiden ohne dass die Welt zusammenstürzt, wie es mir immer prophezeit wurde. Gesunde Angst ist wichtig, aber krankhafte Angst kann den Horizont des eigenen Lebens auf die Größe eines Stecknadelkopfes zusammenschrumpfen, wenn man es zulässt. Angst ist mächtig. Und wer Angst hat, benötigt in so vielen Situationen Mut, die für andere Menschen nicht einmal wirklich bewusst werden. Manchmal ist das Leben eine ständige unfreiwillige Mutprobe und gleichzeitig ein Marathon, dies zu verstecken. Dem ein Ende zu setzen ist mitunter einer der Beweggründe für den Start dieser Kategorie.

Den Anfang macht ein Thema, das ich in den vorigen Beiträgen schon kurz angerissen habe und das mich seit einiger Zeit umtreibt, immer wieder als Agenda für 2022 aufpoppt: Identität. Wer bin ich außerhalb meiner toxischen Familienstruktur? Wer bin ich, wenn ich ich sein darf, ohne etwas oder mich beweisen zu müssen? Wer bin ich, wenn ich selbst an erster Stelle stehen darf?

Das Puzzle meiner Biografie war seitlich an den Abgrund gerutscht, nass vom Abwasser und den Tränen, die Teile verbogen, schief und nicht mehr passend. Es war Zeit, das Bild in die Tonne zu treten, Zeit, ein neues zu zeichnen, neue Teile zu schaffen, zu brechen, zu kleben.

Narzisstenkind

Bei so vielen Entscheidungen die ich traf, schwang mit, ob sie damit würden leben können. Ich wagte kaum nur etwas zu denken, von dem ich wusste, dass es ihnen missfiel, weil die Angst, die Liebe der Familie zu verlieren, die Angst vor den Konsequenzen des Verlusts, zu groß war. Auch wenn ich kleine Schritte tat, die letztendlich große Wirkung zeigten – mir Tinte unter die Haut malen zu lassen, zu kündigen (das erste Mal), meine Therapeutin zu finden und die Ausbildung zur Psychotherapeutin zu beginnen – darauf einlassen konnte ich mich erst, wenn ich am Ende ihren Segen bekam. Jetzt, wo dieser Aspekt weg ist, ist da… Leere. Ein Raum voller Möglichkeiten und gleichzeitig dennoch ein Vakuum.

Langsam bemerke ich, wie sich etwas zu regen beginnt. Das Ich, das nie sein durfte, das immer abgespalten werden musste. Wünsche und Bedürfnisse, die ich verleugnet hatte, egal wie klein oder groß sie waren, immer in der Angst, den grundlegenden Kurs nicht zu verlieren. Niemals verloren gehen, niemals Fehler machen, niemals etwas anfangen und wieder aufhören, niemals etwas ausprobieren und wieder sein lassen. Niemals so sein wie die anderen. Doch genau diese Dinge sind es doch, die das Leben und seine Geschichten ausmachen und unsere Erinnerungen prägen.

Out of the comfort zone, that’s where the magic happens. Ich bin auf der Suche nach den Momenten, in denen sich das Leben anfühlt als wäre es wirklich meines, ohne das Netz der verlogenen Sicherheit, das in Wahrheit nur das Gitter einer bunten Gummizelle ist.

But what if I fall?

Oh darling, what if you fly?

Unbekannt

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