Mutmoment (14): Transgenerationales Blablabla

Immer wieder kreist die Frage in mir, wo dieses Bedürfnis herkommt, diesen Ausbildungsweg zu gehen, der so langwierig und teuer ist ohne Aussicht auf Ruhm und Ehre und was man sich im landläufigen Sinn für langwierige und kostspielige Ausbildungen vielleicht erwarten könnte. Natürlich gibt es die ausgelutschte, nageliegende und logische Antwort darauf, dieses Bedürfnis zu helfen, anderen vielleicht das Guiding Light zu sein, das man sich selbst so sehr gewünscht hätte, anderen zu sagen, dass sie okay sind, weil man es selbst nicht gehört hat als man es am dringendsten gebraucht hat und auch ohne sich fortzupflanzen ein paar Fußnoten im Leben anderer zu hinterlassen. All das ist wahr und richtig aber es ist nicht vollständig. Da war und ist immer noch etwas anderes, das ich nicht zuordnen konnte. Und ich glaube, ich kann es jetzt.

Wir alle leben mit den Erfahrungen und Biografien unserer Vorfahr:innen und in dieser sehr schwierigen Geschichte des europäischen 20. Jahrhunderts gibt es für viele von uns transgenerationale Lasten zu tragen, auf welcher Seite auch immer unsere Vorväter und -mütter gestanden hatten. Denn irgendetwas macht das, was sie getan haben, immer mit uns. Ob es gut war oder böse, ob wir es wirklich spüren oder nicht, es berührt uns. Und obwohl ich den Großteil derjenigen, die diese Handlungen betreffen, nie kennengelernt habe, sind sie in dem, wie ihre Geschichten bis zu mir getragen wurden, ein Teil von mir geworden.

Da ist die jüdische Urgroßmutter auf der einen Seite, Mutter von drei Söhnen, die aufgrund von Geisteskrankheit von den Nazis euthanasiert wurde. Da ist ihr Sohn, mein halbjüdischer Großvater, der aufgrund seiner Herkunft ins KZ verschleppt wurde und meine Großmutter, unehelicher Lieblingsbastard eines Pinzgauer Großbauern, die ihn als Installateur von ihrem Vater wieder zurückholen ließ and they lived unhappily ever after. Auf der anderen Seite gab es die Urgroßmutter, die an den Bahngleisen wohnte und die ihr Leben riskierte, indem sie immer dann, wenn die Häftlinge an der Strecke entlang getrieben wurden, zufällig gekochte Kartoffeln am Fenster stehen ließ, damit die ausgehungerten Gefangenen an zumindest ein klein wenig zusätzliche Nahrung kamen, obwohl sie selbst kaum satt wurde. Und dann war da die andere Urgroßmutter, die in einem Lebensmittelgeschäft arbeitete und systematisch Waren für versteckte jüdische Flüchtlinge abzweigte, die meine Großmutter, damals grade ein Teenager, zu den Bauern auf die Almen brachte und so half, diese irgendwie durch den Krieg zu bringen.

Und das waren nur die großen Geschichten. Manche, die ich als Kind immer wieder hörte, andere, die ich mehr zufällig und beiläufig erfuhr. Und sie alle stellten mich mein Leben lang vor die Frage: und ich? Wäre ich so mutig, würde ich unter Gefahr meines Lebens wildfremde Menschen schützen? Zu gerne würde ich darauf mit einem glühenden „ja“ antworten, aber wer bin ich, mir das zuzutrauen, ohne den Wahrheitsbeweis angetreten zu haben? Wie kann ich jemals diesem Erbe „gerecht“ werden? Spoiler: I can’t. Ich sitze hier, in meiner sicheren Wohnung in einem sicheren Land und tue: nichts. Ich versuche nur, im Wahnsinn meiner eigenen Geschichte irgendwie zu überleben und selbst das gelingt mir oft nicht gut. Was für eine Schande. Was haben sie alles erlebt und TROTZDEM getan? Also was ist was, was ich im Rahmen MEINER Möglichkeiten tun kann? Und vielleicht ist das auch ein Teil der Antwort. Ein bisschen Erbgut, ein bisschen Erbschuld und ein großer Teil Selbstwirksamkeit und Selbstermächtigung.

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